Sonntag, 13. August 2017

Einmal Opfer – immer Opfer?
 

Ein Freund von mir, Oliver Steuer, aus Hof/ Saale  sagte einmal: „ Mein Schwert ist das Wort!“ Dem schließe ich mich an und vervollständige: „Mein Schwert sind Stift und Wort!“
Er erzählte mir dies im Zusammenhang mit seiner Afrikareise, bei der er im Sudan auf Schritt und Tritt von der örtlichen Polizei überwacht, schikaniert und regelrecht terrorisiert wurde. Ein Wunder, dass sie ihn nicht eingesperrt oder ganz des Landes verwiesen haben. Allerdings geschah genau dies schon am Anfang, als er das Gesetz missachtend, einfach ohne Visum versuchte, die ägyptisch-sudanesische Grenze zu überschreiten.
Er kam nicht sehr weit, denn die Wachposten schickten ihn umgehend zurück. Also fuhr er nach Kairo und besorgte sich bei der sudanesischen Botschaft doch noch ein Visum. Es schien, seit dem hatten sie ihn auf dem Kieker. Zuhause angekommen, schrieb er sich dann seinen Frust von der Seele.
So ging ich mit den besten Vorsätzen letztes Jahr zur Weihnachtsfeier unserer Familie, in der  Tasche ein lustiges Gedicht über Tannenbäume welches ein Freund im Internet fand. Sie machten sich selbständig und tanzten nach Gangman-Stil. Das kam auch ganz gut an , einige mussten sogar darüber lachen. Als ich dann vorschlug, ein Lied anzustimmen schlug die Stimmung aber sofort um. Niemand zeigte große Lust am Singen. Eigentlich wollte ich auch nur selbst ein Lied, das ich in meinem Liederfundus entdeckte, zum Besten geben. Der Titel lautete: „ Hört der Engel helle Lieder“ und es besitzt einen wunderschönen Schlussteil: „Gloria in excelsis Deo“ Ich übte es schon Zuhause und auf der S-Bahnfahrt gründlich ein. Heute bedauere ich, mich nicht durchgesetzt zu haben, denn ich verzichtete auf Grund der allgemeinen ablehnenden Haltung auf meine Gesangseinlage. Meinen Schwager hätte das Lied vielleicht doch erfreut, aber in Zukunft kann er es nie mehr hören. Er verstarb Anfang März im darauf folgenden Jahr. Immerhin hatte ich die Chance, einigen Verwandten von meinen Erlebnissen mit Gott zu berichten. Der Sohn meines Neffen wandte darauf ein: „ Ich bin kein Atheist wie meine Großmutter, aber wie steht es mit dem Leid in der Welt? Warum lässt Gott es zu?“ Ich glaube ich antwortete: „ Unser Leid ist meist selbst gemacht.“
Aber dann kam es noch besser und es hätte die Stunde der Wahrheit sein können, aber ich ließ die Gelegenheit ungenutzt verstreichen, als die Mutter eines angeheirateten Schwiegersohns meiner Schwester wissen wollte: „ Warum besteht zwischen dir und Linda solch ein großer Altersunterschied?“ „Wir haben zwar den gleichen Vater aber dafür zwei verschiedene Mütter,“ antwortete ich ihr. Den Rest der Familiengeschichte lies ich Linda erklären, weil ich sie nicht kompromittieren wollte. Sie erzählte ihren Verwandten, wie mein richtiger Vater mich damals adoptierte und sie mich in den Ferien zusammen vom Fichtelgebirge nach Berlin brachten. Ihre eigene Adoption  aus einem Kinderheim kam dabei nicht zur Sprache und genauso wenig erwähnte ich die Tatsache, dass nach dem Mauerbau meine Tante ihr gesamtes erspartes Geld Lindai gab, damit sie sich mit ihrer Familie ein Haus in Oranienburg-Süd kaufen konnte. Was sie mir wiederholt berichtete, stimmte: „Als die Tante 1969 starb, befanden sich nur noch vergammelte Pralinen und Schokolade unter ihrem Bett.“ Ich forderte nie einen Anteil vom Geld, um Streit zu vermeiden und auch Mia vertrat folgende Ansicht:  "Das DDR Regime hat sie fast dreißig Jahre eingesperrt. Das war schlimm genug."
Stattdessen berichtete ich ihnen von der herzlosen Behandlung durch meine Stiefmutter. Obwohl ich noch nicht einmal die schlimmsten Torturen beschrieb, wie das Geschlagenwerden mit ihrem Teppichausklopfer und tagelangem Liebesentzug durch fortgesetztes Schweigen,  bemerkte ich, wie sich Heidis Gesicht zunehmend verfinsterte. Diese Gesprächswendung gefiel ihr genauso wenig wie ihrer Tochter Beate, die uns erklärte: "  Ich habe Oma immer nur freundlich in Erinnerung."
 Damit war die Weihnachtsstimmung unwiederbringlich verdorben. Sie tauschten zwar noch einige Geschenke aus obwohl mir von Linda vorher gesagt wurde: „ Wir schenken uns aber nichts!“
Bevor sie mich dann in ihrem Mercedes zum Bahnhof brachten, erhielt ich  doch noch ein Geschenk von ihr zugesteckt – 50 Euro; worüber ich mich ausgesprochen freute.  Obwohl das Familiengeheimnis weiterhin bewahrt wurde, luden sie uns zur Beerdigung vom Schwager erst mal nicht ein. Es kränkte mich sehr, denn ich fühlte mich ausgesperrt.
Aber von nun an beschließe ich, nicht immer  die Opferrolle zu übernehmen, sondern ich schreibe einfach alles auf und rede mir den Frust von der Seele. Das tut richtig gut! Ein für alle Mal: Schluss jetzt mit dem ständigen Rumgejammer.
Das will sowieso keiner hören. Und dann geht’s auf zu neuen Ufern. Mal sehen was noch so alles kommt und zum Schluss mit einem Salto rückwärts ins Grab juché!
Und bitte keine große Heuchelei, denn irgendwann ist jeder Mal dran. Arrivederci und Ciao!
Über eine Sache, bei der ich mich irrte, bin ich jedoch echt froh.
An jenem besagten Weihnachtsnachmittag unternahmen wir noch einen ausgiebigen Verdauungspatziergang nach unserem üppigen Gänsebraten. Ich unterhielt mich mit Beate und ihrem Neffen Reinhard über Pegida. Dabei äußerte ich den Verdacht, dass sie an Teilnehmerzahlen eher zu als abnehmen werden, was sich glücklicherweise bis heute nicht bestätigte. 




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen